Die J. ist ein Sammelbegriff für sich überschneidende Stilrichtungen in der Kunst wie Fin de siècle, Dekadenz, Ästhetizismus, Symbolismus etc. Verbindende Momente sind Sprach- und Ichkrise sowie der Wille zu neuen ästhetischen Formen. Historisch ist die Zeit geprägt vom Wilhelminismus und dem Wettrüsten der europäischen Großnationen, das schließlich im Ausbruch des ersten Weltkrieges kulminiert. Urbanisierung und Industrialisierung sind bestimmende Momente, die sich in der Literatur in der zunehmenden Reflexion auf das Thema Großstadt spiegeln. Dabei kommen schnell auch die Schattenseiten des technischen Fortschritts zum Vorschein. Sie äußern sich nicht zuletzt in neuen Krankheitsbildern, insbesondere in einer spezifisch modernen Nervosität und Reizbarkeit des Seelenapparates. Die Freudsche Psychoanalyse, die sich zu dieser Zeit als Wissenschaft vom Unbewussten etabliert, hat hierin eine ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen. In der Folge von Nietzsches provokanter These "Gott ist tot" zeichnet sich die Moderne durch den Verlust traditioneller Werte aus, der die Literatuer in eine Krise führt, in der das selbstbewusste Vertrauen in Ich und Sprache verloren geht. Die Sprach- und Ichkrise wird aber nicht nur negativ erlebt. Sie lässt zugleich neue produktive Energien hervortreten, die sich in einer Vielzahl der unterschiedlichen Stilrichtungen ebenso zeigen wie in neuen medialen Formen, zum Beispiel dem Film. Die Prosa Franz Kafkas reagiert ebenso sensibel auf die Erschütterungen des Bewusstseins durch Nietzsche und Freud wie auf das neue Konkurrenzmedium des Kinos. Stefan George prägt das Kunstverständnis der Moderne, indem er in Autonomie der dichterischen Sprache und ihre Loslösung von allen Wirklichkeitsbezügen fordert. Die J. hat somit zu einer Explosion neuer ästhetischer Formen geführt, die sie neben Klassik und Romantik als einen der Höhepunkte der Literaturgeschichte erscheinen lässt.
10. Der Impressionismus
Von dem lateinischen Wort "impressio" = der Eindruck abgeleitet, stellt der Impressionismus von ca. 1890-1910 einen Übergang vom Naturalismus zum Sybolismus dar.
Grundgedanken der Impressionisten:
Im Gegensatz zum Naturalismus treten Wahrnehmung und Eindruck in den Vordergrund, was teilweise eine Flucht in eine Scheinwelt darstellt. Es soll der subjektive Eindruck geschildert werden und der Leser oder Betrachter soll die dargestellte Situation subjektiv erleben.
Häufige Motive des Impressionismus:
Im Impressionismus werden die wahrgenommenen Sinneseindrücke genau beschrieben. Dadurch liegt der Fokus einer Erzählung nicht mehr auf der Handlung, sondern auf der Umgebungsbeschreibung.
DAS KARUSSELL - JARDIN DU LUXEMBOURG, RAINER MARIA RILKE (PARIS, 1906)
Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus einem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.
Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und darüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -.
Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manches mal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel...
Werke:
"Borghese", Rainer Maria Rilke
"Der Panther", Rainer Maria Rilke
11. Der Symbolismus
Die von ca. 1890-1920 bestehende Strömung hat ihre historischen Wurzeln in den gesellschaftlichen Umwälzungen der Industrialisierung.
Grundgedanken des Symbolismus:
Der Dichter soll aus Bruchstücken der realen Welt Symbole und Sinnbilder zusammensetzen, die eine ästhetische und ideelle Vollkommenheit ergeben. Dadurch wirken die Werke meist traumähnlich. Im Symbolismus werden Zusammenhänge zwischen dem Wort und dem Sinn hergestellt, wodurch auch der höhere Sinn von allen Seiten geschildert wird. Die Musik soll etwas nicht rationalisierbares darstellen.
Häufige Motive:
Metaphern und Symbole machen den Symbolismus aus, aber auch Sinneseindrücke und Musik werden häufig Dargestellt.
BLAUE HORTENSIE
So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.
Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;
Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.
Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.
12. Die Dekadenz
Die Strömung der Dekadenzliteratur ging von ca. 1890-1910 und stellt den Verfall dar. Sie ist auch bekannt unter der Bezeichnung "Fin de siècle" und geprägt von Endzeitstimmung, Melancholie und Lebenslust. Häufige Motive sind Todessehnsucht, Wahnsinn und Krankheit. Der Begriff Dekadenz, von lateinisch cadere = fallen, sinken oder französisch décadence = Niedergang, Verfall, setzt voraus, es gäbe objektiv bessere oder wünschenswertere Zustände.
Werke:
"Der Tod in Venedig", Thomas Mann (1911)
13. Der Expressionismus
Die Literatur des Expressionismus ist hauptsächlich vom ersten Weltkrieg geprägt, aber auch von einer Endzeitstimmung, da 1910 der Halley'sche Komet als Bote des Weltendes interpretiert wurde.
Themen des Expressionismus:
Auf der einen Seite wird der Aufbruch der Jugend und die Großstadt in ihrer Ambivalenz dargestellt. Auf der anderen Seite ist das Thema der Ich-Dissioziation, also der Dekomposition vom Ich und der Welt, und das Weltende. Man beschäftigt sich mit einem neuen Menschen, der ein revolutionäres Aufbegehren gegen die Scheinwelt des beginnenden 20. Jahrhunderts hervorruft. Die Ächtung des Krieges ist weit verbreitet.
Kennzeichen des Expressionismus:
Innovation steht der Tradition gegenüber, die Zentralperspektive wird aufgelöst. Die Ästhetik des Hässlichen wird hervorgehoben. Es besteht eine Sprachzertrümmerung, denn die traditionelle Syntax und Semantik werden aufgelöst, es entsteht eine Agrammatikalität und eine pathetische Sprache. Die Sprache wird konzentriert und lässt das Nebensächliche weg.
KLEINE ASTER
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke sich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!
Werke:
"Verfall", Georg Trakl
Weitere Werke der Jahrhundertwende:
"Berlin Alexanderplatz", Alfred Döblin
"Der Nachbar", Franz Kafka
"Die Verwandlung", Franz Kafka
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